Donnerstag, 30. Juli 2009

Würmchen, es tut mir leid, aber deine Mutter hat einen Knall

In Harry & Sally gibt es eine Stelle, an der Sally denkt, sie wäre doch eigentlich unkompliziert, und Harry sagt, „Du denkst, du bist unkompliziert, aber du bist kompliziert. Das sind die Schlimmsten.“

Hier irrt sich Harry. Die Schlimmsten sind die, die kompliziert sind, das auch im Grunde genau wissen und trotzdem ums Verrecken für unkompliziert gehalten werden wollen. Es ist, als würde Sally sich einen Apfelkuchen bestellen, „einfach ein Stück Apfelkuchen, egal“, und wäre dann todtraurig, dass die Eiskugel obendrauf ist und nicht daneben.

Ich bin so eine. Ich bin die, die nie den Geschäftsführer sprechen will, sondern einfach nie wieder kommt, und zwar wegen einer Sache, die anderen völlig egal wäre, und die trotzdem beim nächsten Mal wieder so tut, als wäre sie der unkomplizierteste Gast im Lokal. Meine Spaghetti Vongole müssen immer ohne Tomaten sein, aber mit Wermut, mein Steak immer blutig, meine Fritten immer genau SO und NICHT ANDERS, mein Bier immer in einem Glas ohne Goldrand und mein Tee immer mit kochendem Wasser gemacht, und auf gar keinen Fall will ich eine Tasse mit heißem Wasser bekommen und einen Teebeutel daneben. Aber brauche ich deshalb zwei Minuten, um eine Tasse Tee zu bestellen? Nein, ich bestelle einfach Tee, denn ich bin ja die unkomplizierte Flora, und hinterher mag ich ihn nicht, und wenn es ganz blöd läuft, auch das Lokal nicht mehr.

Beispiel Nr.1: L.s Mutter kümmert sich mit ein paar Frauen aus dem Dorf darum, die Dorfkirche für die Hochzeit zu schmücken. Sie hat mich gefragt, was für Blumen ich mag, und ich sage voller Überzeugung: „Ich mag eigentlich alle Blumen!“ Zwei Wochen später erzählt sie, sie hätten sich überlegt, vor allem Sonnenblumen zu nehmen, denn die sehen so freundlich und sommerlich und ländlich aus. Mir sträuben sich die Nackenhaare. Sonnenblumen sind so ziemlich die einzigen Blumen, die ich überhaupt nicht mag. (Denke ich jetzt. Bis jemand mit Usambaraveilchen, Gerbera, Calla, Chrysanthemen oder diesen roten Dingern mit dem Schilfrohr in der Mitte ankommt.) Aber wie sage ich das, ohne dass es falsch ankommt und ohne dass ich undankbar oder sogar (keuch!) zickig und kompliziert wirke? (Wer jetzt denkt „Was ist das denn für ein Quatschproblem“, hat vollkommen Recht.)

Beispiel Nr.2: Ich gehe zum Friseur, und als er mich fragt, wie ich es gerne hätte, sage ich, er sollte einfach mal machen, ich vertraue ihm. Das Ergebnis ist, dass er mich innerlich zum lässigsten Kunden des Tages krönt und ich mich hinterher in den Schlaf weine und die nächsten zwei Wochen damit verbringe, zu versuchen, durch pure Konzentration meine Haare dazu zu kriegen, doppelt so schnell zu wachsen.

Beispiel Nr.3: Ich arbeite mit Hochdruck daran, dass mich meine Freunde, meine Familie und L. für eine unkomplizierte, lockere Schwangere halten. Hey, ich bins, nur jetzt eben mit einem kleinen Würmchen im Bauch, seht ihr, ich bin so locker, ich nenne es noch nicht mal „Kind“ oder „Baby“, denn wer weiß, vielleicht geht ja noch alles schief, und wir wollen die Sache doch nicht zu hoch hängen? Und dann kommt L. nach Hause, hat sich Sushi aus Krebsfleisch (Krebsfleisch. Durchgekocht und damit vollkommen harmlos. Krebsfleisch steht auf der Liste der guten Lebensmittel, Krebsfleisch lebe hoch!) gekauft und will mir zauberhafterweise was abgeben, und ich kann nicht, weil ich Angst habe, dass es mit dem gleichen Messer und auf dem gleichen Brett geschnitten wurde wie das normale, gefährliche Sushi. Und obwohl ich es nicht anrühre, wache ich morgens schweißgebadet auf, weil ich geträumt habe, ich hätte von dem Teller, auf dem das Sushi lag, etwas anderes gegessen, und ich kann mich kaum beruhigen. (Neulich habe ich geträumt, ich hätte geraucht. Ihr hättet dabei sein sollen.) Und nur zwei Minuten später verstehe ich die Welt nicht mehr, weil meine Mädchen Angst haben, mit mir in einem Ostseedorf außerhalb der Reichweite jedes noch so winzigen Krankenhauses das Wochenende zu verbringen. Vor ihrem inneren Auge spielen sich schreckliche Szenen ab, in denen ich mitten in der Nacht in einem Blutschwall erwache und wir nichts tun können, woraufhin der Geist meines verlorenen Kindes auf ewig um uns herumspukt. Das ist eine Angst, die einen ganz realen Hintergrund hat (ich blute immer noch und soll mich schonen), eine völlig vernünftige und erwachsene Sorge. Und ich denke für ein paar Minuten allen Ernstes: Wieso sind nicht alle so unkompliziert wie ich? Ey, Locker!

1 Kommentar:

  1. Liebe Flora, dein Blog ist toll! Hab schon lange nicht mehr so viel gelacht über ein Thema, bei dem mir momentan eigentlich meistens nur zum heulen zumute ist. Ein riesen Dankeschön dafür und alles, alles Gute!

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