Wenn man Glück als eine Sache betrachtet, die mit Lotterien und Wahrscheinlichkeiten in Prozenten zu tun hat, hatte ich bisher nicht viel davon im Leben. Aber auch nicht wenig.
Mein Vater hat in einer großen Fabrik gearbeitet. Einmal im Jahr gab es einen Tag der offenen Tür. Natürlich waren wir da, und natürlich hab ich mitgemacht, als wir mit Angeln einen Preis aus einem Plantschbecken fischen durften. Ich hab den Hauptgewinn gewonnen! Eine "Herrenquarzuhr". Sie war riesig, sie war aus gebürstetem Chrom, und ich dachte, hinter so was sind sicher die internationalen Geheimdienste her – immerhin hat sie eine Stoppuhr und einen Wecker! Auf jeden Fall war ich sehr aufgeregt über diesen Riesengewinn. Schon allein deshalb, weil ich gewonnen hatte. Ich hätte diese Uhr um meinen Oberschenkel schnallen können damals.
Ein anderes mal habe ich auf unserem Kleinstadtrummel an der Losbude eine riesige quietschrosa Plüschmaus gewonnen. Die musste dann mit mir Knutschtunnel (ohne Knutschpartner), Riesenrad und Kettenkarussel fahren. Es war peinlich, aber schön. Später hab ich sie weggeworfen.
Und wieder ein anderes Mal habe ich Lotto gespielt, zum ersten Mal in meinem Leben und nur unter Einfluss meines besten Freundes, und hatte plötzlich vier richtige und die Zusatzzahl. Im Geiste habe ich mir schon ein Notebook und ein Segelboot gekauft. Es waren dann 76 Mark.
Wenn ich mit Quoten konfrontiert werde, dann orientiere ich mich mehr an der Quotensorte Glück. Ich hab ein bisschen Ahnung von Stochastik, ich weiß, dass diese Zahlen, die in meiner Befruchtungstabelle stehen, nicht nur Zahlen sind, sondern etwas mit meinem richtigen Leben zu tun haben. Dass das nicht nur irgend eine Quote ist, mit der sich Versicherungen absichern oder mit der Wettbüros arbeiten, sondern Zahlen, die in der Realität verwurzelt sind. Und bei der Quotensorte Glück schneide ich oft nicht gut ab. Oder besser gesagt, selten gut.
Aber bei der Sorte Glück, die man nicht mit Quoten verbindet und für die der dusselige Focus keine Tabelle veröffentlicht, bei der bin ich gut. Ich hatte schon mehrere Verkehrsunfälle, bei denen ich eigentlich hätte draufgehen sollen, und an keinem war ich Schuld, und bei keinem habe ich auch nur einen blauen Fleck davongetragen. Ich bin (dank extremer Kurzsichtigkeit) schon oft mit dem Gesicht in irgendwelche Gestrüppe oder Hirschgeweihe reingerannt, ohne dass es mich ein Auge gekostet hätte. Ich bin schon auf dem Bauch wirklich mörderische und vereiste Pisten ungebremst mit dem Schlitten runtergerast, und wäre ich danach querschnittsgelähmt gewesen, hätten alle nur gesagt, seht ihr, so was kommt davon. Ich bin schon oft mitten in der Nacht von den berühmten Klippen und Krähnen in die berühmten unbekannten Gewässer geköppert, ohne dass ich mir mehr dabei geholt hätte als unwillkommene Anmachen und eine Blasenentzündung. Und ich habe es schon mal geschafft, bei einer Chance von 0,6 Prozent (laut einer Frauenkarrierezeitung - pervers eigentlich, dass es das überhaupt gibt) eine Karriere rauszuschinden, die mich sehr glücklich gemacht hat.
Meine Chance, bei diesem Versuch schwanger zu werden und tatsächlich ein Kind zu kriegen, liegt bei 27 Prozent.
Vielleicht sollte ich mich mehr an meinem quotenfreien Leben orientieren als an meinem Leben in Quoten.
27 % ist übrigens nicht schlecht.
Stellt euch vor, morgen würde eine Schlagzeile in der Bild erscheinen, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 27 Prozent in einer Woche ein Komet die Erde rammt. Würdet ihr Konservendosen kaufen und noch mal mit euren Eltern telefonieren? Würdet ihr, oder?
Ich kaufe noch keine Hipp-Gläschen. Aber ich gewöhne mich schon mal an den Gedanken, dass es so schnell nichts mehr zu rauchen gibt. So gut, wie das eben geht für ein Mädchen, das gerade hormonbedingt vier Wochen ohne Zigaretten hinter sich hat und deren größte Sehnsucht jetzt, in dieser Sekunde, so leid es mir tut, nicht ein gesundes Baby auf meinem Arm ist, sondern eine Schachtel gelbe American Spirits und ein sauberer Aschenbecher.
Wünscht mir Glück für Morgen früh.
invisible apple cake
vor 3 Tagen
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