Donnerstag, 11. Juni 2009

Gonal: Der schonungslose Tatsachenbericht

Als wir in der Schule zur Abschreckung „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ durchgenommen haben, dachte ich: Kann mir nicht passieren. Schon wegen der Spritzen.
Als ich mit zehn vom Mäuerchen vorm Freibad gefallen bin und mir das Knie so aufgeschlagen habe, dass der Knochen rausguckte, war meine Hauptsorge: bitte bitte bitte keine Spritze, sonst drehe ich durch, niiiiehiiiiiemals könnte ich eine Spritze ertragen.
Als ein Junge aus meiner Klasse am Blinddarm operiert werden musste, sah ich mir das Klassenfoto vom letzten Jahr an, betrachtete sein Bild und dachte mitleidig: Jaja, da hattest du noch keine Ahnung, dass es in deiner nahen Zukunft eine Spritze geben würde.
Und als eine Freundin vor ein paar Jahren operiert worden war und die Wahl hatte, sich entweder selbst täglich eine Thrombosespritze zu geben oder dafür ins Krankenhaus am anderen Ende der Stadt zu fahren, war für mich völlig klar, was ich gemacht hätte: ich hätte ein Taxi genommen, aber nicht zum Krankenhaus, sondern mit Vollgas zum Flughafen, ich wäre nämlich ausgebüchst, nur weg von diesen Spritzen.

Ich glaube, es ist klar geworden, dass ich immer Angst vor Spritzen hatte.

Bis zu diesem Tag im April, an dem ich mir meine erste Gonal setzen musste. Ein Präparat, das übrigens weder aus Bademeisterhaaren noch aus Igeln gemacht wird, wie ich gestern noch dachte, sondern aus Sekreten chinesischer Hamster. (Wer wohl auf die Idee gekommen ist, DAS auszuprobieren? Denn dass hinter dieser Entwicklung auch so ein Zufall steckt wie bei Penicillin, kann ich mir nicht vorstellen. Es sei denn... da war dieser Junge, der einen Hamster hatte. Den er heiß und innig liebte! Eines Tages sprach die Großmutter zu ihm.... nein, es hilft nichts, ich schaffe es nicht, mir eine Geschichte auszudenken, bei der die Hamstersuppe im Bauch einer Frau mit Kinderwunsch landet.)

Zurück zur Sache. Ich hatte Angst vor Spritzen, dann kam Gonal. Gonal ist für Spritzenphobiker das, was unser Königspudel für Hundephobiker war: innerhalb von fünf Minuten haben sie gurrende Laute ausgestoßen und ihm den Bauch gekrault. Das mit meiner Gonal-Erweckung ist zwei Monate her, und damals hatte ich dieses Blog noch nicht. Jetzt habe ich es, und deshalb habe ich die Chance, euch diesmal LIVE dabeisein zu lassen, wenn es hier gleich rund geht.

Jetzt werden hier nämlich Babys gemacht.

Also. Ich nehme den Karton, reiße ihn auf und sehe ein Plastikdings mit zwei Höhlungen. In einer liegen die Nadeln in ihren Plastikhüllen, in der anderen der Pen. Der Pen heißt Pen, weil diese Spritze aussieht wie ein dicker, hässlicher Kuli. Die Sorte Werbekuli, die ein mittelständischer Maschinenteilzulieferer aus dem Schwäbischen sich aussuchen würde.

Bevor ich nun aber frisch drauflosspritzen darf, muss der Pen vorbereitet werden. Ich lese nochmal die Anleitung (nur zum Vorbild für euch, denn natürlich weiß ich noch HAARgenau, wie das ging beim letzten Mal!), dann lese ich sie nochmal. Es ist eine gute Anleitung. Jeder versteht, was er zu tun hat. Und was ich zu tun habe, ist folgendes:
1.Kappe vom Pen abnehmen
2.Folie von einer Nadel abnehmen
3.Nadel mitsamt Schutzhütchen vorne auf den Pen schrauben bis zum Anschlag
4.Hinten am Pen das Ding, mit dem man bei einem Kuli rumklickern würde, auf die 37,5-Einstellung drehen
5.Das Klickerding so weit herausziehen, wie es nur irgend geht
6.Das erste Schutzhütchen von der Nadel abziehen, dann das zweite – Huch, jetzt nicht in Ohnmacht fallen, da ist sie: die NAHAHAADEL!
7.An den nadelaufwärts gehaltenen Pen klopfen, wie man das aus der Schwarzwaldklinik kennt, damit etwaige Luftbläschen nach oben in die Nähe der Nadel steigen
8.Das Klickerdings bis zum Anschlag reindrücken. Wenn jetzt keine Tröpfchen aus der Nadel quellen, Schritt 5 bis 8 wiederholen.
9.Die Hütchen wieder auf die Nadel setzen, die Nadel mitsamt den Hütchen abschrauben und wegwerfen.

Das war die Trockenübung. Nun zur Sache. Ich geh mir erst mal die Hände waschen. Ein Glück habe ich heute morgen noch die Tastatur dieses Rechners gereinigt. (Ein weiteres Beispiel für Nestbautrieb durch Hormone. So was würde ich sonst nie tun, es sei denn, ich habe Angst davor, dass meine Freunde anfangen, mich hinter meinem Rücken „Stinki“ zu nennen.)

So. Die Hände sind gewaschen. Der Küchentisch blitzt mitsamt dem darauf stehenden Rechner. Auch zwei adrett verpackte kleine Alkoholtupfer habe ich dazugelegt. (Die kriegt ihr auf Nachfrage in der Apotheke dazu, bei solchen Gold-Kunden wie uns wollen sie da mal nicht so sein.)
Ich nehme einen der Tupfer aus seiner Folie, klemme mir mein Top zwischen die Zähne, so dass ich bauchfrei dastehe, und tupfe die Gegend neben meinem Bauchnabel mit dem Alkohol ab. Bevor ihr die Nadel einstecht, sollte der Alkohol verdunstet sein, sonst kann es ein bisschen ziepen. Die paar Sekunden, bis es so weit ist, überbrücke ich, indem ich eine neue Nadel mitsamt Hütchen auf den Pen schraube und meine Dosis (steht auf dem Therapieplan) hinten am Pen einstelle. 150 sind das bei mir. Wir fangen fett an und lassen dann langsam nach.

Und nun kommts: Ist der Bauch trocken? Dann erst dickes Hütchen, dann dünnes Hütchen abziehen. Und wieder sehen wir eine Nahaaaadel, diesmal ist sie nicht für die Luft, sondern für uns. Aber wir holen keinen Pantoffel und dreschen auf sie ein. Wir suchen kein Glas und eine Postkarte, stülpen das Glas über die Spritze und schieben dann die Postkarte drunter. Wir klettern auch nicht auf einen Stuhl und kreischen. Und wir holen auch keinen Staubsauger, saugen die Spritze ein, tragen den Staubsauger in den Keller und verriegeln hinter ihm die Tür. Wir tun etwas Klügeres. Wir halten die Spritze in einer Hand und klemmen mit der anderen zwischen Daumen und Zeigefinger eine appetitliche kleine Wurst in der desinfizierten Stelle unseres Bauches ab. Je fester wir quetschen, desto weniger merken wir gleich von der Nadel.

Gut, jetzt ist die Vorbereitung abgeschlossen. Zur Sache, Spritzchen. Ich weiß noch, beim ersten Mal dachte ich, ich zähle jetzt bis drei, dann rein damit. Und irgendwie hatte ich es schon bei zwei bis zum Anschlag in mir drin und davon noch nichts gespürt. Ich habe also das große Glück, heute schon keine Angst mehr zu haben, ganz anders als ihr kleinen Heulsusen. Die gute Nachricht für euch ist: schon in fünfzehn Sekunden könnt auch ihr für immer in der anderen Mannschaft mitspielen, in der nämlich, die sich nicht mehr fürchtet.
Setzt die Nadel steil an, möglichst nah an rechtwinklig zum Bauch. Und dann lasst sie einfach in die Wurst gleiten, die ihr immer noch fest gedrückt haltet.

Das war es? Das war es fast. Jetzt müsst ihr hinten am Pen das Klickerdings bis zum Anschlag reindrücken. Um das zu tun und nicht die Wurstfalte loszulassen, müsst ihr euch eventuell jetzt mit der Hand hinten am Pen hocharbeiten, falls ihr versteht, was ich meine. Und selbst das – der Pen bewegt sich IN EUCH DRIN – werdet ihr nicht spüren. Ihr könntet jetzt übermütig werden wie Leute, die beweisen wollen, dass sie keine Angst vorm Aufzug haben und auf und ab hüpfen. Aber stattdessen macht ihr es wie ich und drückt einfach das Klickerdings rein. Und jetzt müsst ihr die Nadel noch zehn Sekunden lang in euch drinlassen und dabei das Klickerdings gedrückt halten.

Dann raus damit. Schraubt die beiden Hütchen wieder drauf, setzt die Kappe auf den Pen, werft die verbrauchte Nadel samt Hütchen weg, und falls sich ein bisschen Blut zeigt (tut es so gut wie nie), tupft ihr das mit dem Alkoholtupfer ab. Pflaster braucht ihr keins. Jetzt könnt ihr eure Freunde anrufen und erzählen, wie easy-peasy das war oder (je nach Charakter) wie unfassbar HART und SCHMERZHAFT das war, aber dass ihr es trotzdem verdammt noch mal durchgezogen habt.

Ich bin kein Arzt und auch sonst keine Gesundheitsautorität, aber ich würde jetzt zur Feier des ersten Mals ein Glas Wein trinken. Für meinen Geschmack passt ein schöner Cremant oder Prosecco auch sehr gut zu Hamstersekreten.

Und morgen nehmt ihr die andere Seite vom Bauchnabel.

10 Kommentare:

  1. DANKE DANKE DANKE fuer diesen Bericht!!!
    Ich steh 2 Wochen vor meiner Gonal und sch**** mir mal so richtig in die Hose - eben auch wegen Spritze und so...
    Vielen Dank!
    Jetzt gehts mir besser!!!!

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  2. mir steht das auch bevor hab schon Angst... werde es aber schaffen weil von nix kommt nix...Flora hast das richtig toll geschrieben und mir auch Mut gemacht ich Danke Dir!!!

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  3. Heute ist es soweit...lese mir das nun schon zum dritten Mal durch und sag mir immer das es nicht so schlimm ist mir zittern jetzt schon die Hände...aber es ist ein Pieks der mich ein Stück näher bringt an meinen grössten Wunsch...

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  4. das ist ja mal eine megageile Beschreibung! das trifft es auf den Punkt - morgen geht´s los und auch ich sch... mir fast in die Hose. Aber mit der Beschreibung schaff ich das auch... DANKE!!!!

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  5. Hallo Flora, was ein Weltklasseblog! Bin im 1.IVF-Zyklus, seit 2 Wochen lese ich hier und du schreibst mir aus der Seele und wie wunderbar, endlich auch mal laut lachen zu müssen in diesem nicht immer so erquicklichen Themenkomplex. Ich war auch nie ein Spritzenfreund und mein Arzt hat mich dann auch gleich mal für die Königsdisziplin angemeldet: Pergoveris und Cetrotide, nix mit Pens leider.Pergoveris klingt wie ein spanischer feuriger Drink, aber enthält auch nur Hamster-Eiersalat aus China. Nicht genug damit, dass ich mir Pergoveris erstmal anmischen musste und dabei grobmotorisch ungeschickt wie ich bin, diverse Nadeln, Ampullenfläschchen und Luftblasen zu händeln hatte- Ich hab mir Sorgen gemacht, ob ich mein morgendliches Müsli noch runterkriege oder ab jetzt instinktiv in den Backentaschen aufbewahre. Und für alle, die Cetrotide spritzen:Die Kanüle wird entgegen der Beipackzettel-Anweisung draufgeSCHRAUBT, nicht gesteckt, das hatte mich bei der ersten Dosis eine teure Ampulle und viele Nerven gekostet.Und vergesst auch den beknackten Hinweis, dass man bei eingestochener Nadel mal den Kolben ein bisschen zurückziehen soll, gucken soll, ob Blut kommt und wenn ja, die Spritze wegschmeißen. Ist total überflüssig, das zu machen, weil man im Bauchfett praktisch keine Venen treffen kann. Ansonsten kann ich nur empfehlen, lustige kleine Aufkleber auf die Spritzenpackungen zu kleben und immer ein Gummibärchen o.Ä. reinzutun. Das ist dann ein bisschen wie früher beim Zahnarzt, wos fürs Tapfersein auch was Nettes gab. Danke, Flora und danke, kleine Hamster in China! Und uns allen hier viel Glück!

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  6. Wow, ein super Post! Ich werde heut Abend das erste mal selbst spritzen und dein Post hat mir echt die Angst genommen. Vielen Dank für diese wunderbar geschriebenen Worte!!

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  7. Ich schrei mich weg!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! K.R.E.I.S.C.H. :-)= (Hamster) Meine liebe Flora, ich weiß nicht, ob du Kommentare noch zu lesen kriegst, die zu längst vergangenen Post deinerseits einschlagen, aber ich schreibe trotzdem...

    Wir hatten im letzten Jahr auch die volle Dröhnung KiWu-Klinik, 5x IUI, 2x IVF und dann eine selbstauferlegte halbjährige Zwangspause, um mal wieder auf andere Gedanken zu kommen als "Eiertanz" (ein wie ich finde genialer Name für das ganze Spektakel! Auch deine Vorgeschichte der geplatzten Zysten ist mir (un-)wohl bekannt... Im März (wir reden hier von 2014) hatten wir dann den ersten von 2 Kryoversuchen, erfolglos, und jetzt bleibt uns noch ein Schuß...ansonsten war's das mit Geschwisterchen.

    Ich muß dir aber sagen, dein Blog ist wirklich der Knaller!!! Schade, das ich ihn erst jetzt entdeckt habe, er hätte mich durch viele Tränentäler gerettet! Auch ich gehöre allerdings zu den "Steh-Auf-Meeedchen" und habe imme nach dem Motto "Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, weiter geht's" gelebt und tue es auch weiterhin, auch wenn der letzte Versuch daneben geht.

    Allen "HASEN" unter uns drücke ich sowas von alle Daumen das ihr Glück habt und wünsche euch allen auch ne jehörige Portion Jelassenheit!!! (wie ich als Rheinländerin sagen würde :-)

    Flora, ich muß weiterlesen.

    VIELEN DANK für diesen(s) Blog!!!!!!!!!!!

    Brauni

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  8. Ist das zeug in deutsch erhältlich? War vor vielen Jahren in der Ukraine von dort aus wurde es in Frankreich bestellt. Wie ist das heute??

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  9. Ist das zeug in deutsch erhältlich? War vor vielen Jahren in der Ukraine von dort aus wurde es in Frankreich bestellt. Wie ist das heute??

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  10. ''Der Pen heißt Pen, weil diese Spritze aussieht wie ein dicker, hässlicher Kuli. Die Sorte Werbekuli, die ein mittelständischer Maschinenteilzulieferer aus dem Schwäbischen sich aussuchen würde.''

    Höhöhö und BRÜLL :-)
    Lieben Gruß aus Stuttgart

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