Montag, 8. Juni 2009

Nachtgedanken einer In Vitro-Patientin in ungeordneter Reihenfolge

1.Was, wenn ich das mit den Spritzen verbammele und mir aus Versehen eine riesige Luftblase ZACK direkt in die Blutbahn spritze? Dann gucke ich aber dumm!

2.Was, wenn L. eines Tages realisiert, dass das Leben so einfach und unbeschwert sein kann, wenn man sich eine 25jährige Fruchtbarkeitskönigin angelt?

3.Was, wenn ich nach drei erfolglosen Versuchen irgendwann in der Zeitung lesen muss, dass die Belegschaft meiner Klinik aus einer Bande von als Ärzte verkleideten Aushilfskellnern bestand und jetzt aufgeflogen ist, und ich hatte nie eine Chance, und nun muss ich auch noch jeden weiteren Versuch selbst zahlen?

4.Was, wenn die Zysten bisher sich gerade erst warmgelaufen hatten und der große Angriff erst noch kommt, sobald ich mal kurz nicht hingucke?

5.Was, wenn irgendwann alle Kinder haben, selbst der Papst schiebt irgend so einen Bugaboo durch die Gegend, nur ich nicht?

6.Was, wenn ich angesichts der Kinderlosigkeit werde wie mein Hass-Onkel und meine Hass-Tante, die einzigen kinderlosen Menschen, die ich als Kind kannte, und gleichzeitig mit wenigen Ausnahmen die unsympathischsten?

7.Was, wenn ich so werde wie diese arme Seele, die ihren Buggy mit drei als Babys verkleideten Pinschern immer durch die Innenstadt schiebt?

8.Was, wenn es zwar klappt, aber das Kind wird ein kleiner Kotzbrocken, der mich von nun an jede Minute meines Lebens nerven wird und mich meinen Kinderwunsch noch verfluchen lassen wird (wie in dieser Horrogeschichte von der Affenpfote: Die Affenpfote erfüllt Wünsche. Aber sie erfüllt sie anders, als du denkst! Du wünscht dir, reich zu sein, und die Affenpfote erfüllt dir diesen Wunsch, indem sie deinen Sohn verunglücken lässt, und du wirst zur Entschädigung mit Geld überschüttet. Du wünschst dir, zehn Kilo abzunehmen, und die Affenpfote sorgt dafür, dass du ein Bein verlierst – und bist zehn Kilo leichter. Ihr versteht das Schema.)

9.Was, wenn es klappt, und ich stelle hinterher fest, dass ich nicht der mütterliche Typ bin und nur die Not, in den nächsten drei Jahren zu Potte zu kommen oder nie, dafür gesorgt hat, dass ich mir die Sehnsucht nach einem Baby so dermaßen überzeugend einrede, dass ich mir für die Erfüllung meines Kinderwunsches sogar Medikamente in den Bauch spritze, die aus Dingen gewonnen werden, die ich sonst noch nicht mal anfassen wollte?

10.Was, wenn ich das alles hinter mir habe, und dann stellt ein Arzt fest: super, dass es geklappt hat, aber eigentlich wäre nur ein bisschen mehr Magnesium/Sonne/Vitamin B notwendig gewesen?

11.Was, wenn wir es probieren und probieren und probieren und gar nicht merken, dass wir trotz aller guten Vorsätze langsam verrückt geworden sind?

12.Was, wenn wir es probieren, es klappt, das Kind ist gesund und schön und wunderbar, und dann passiert etwas Schreckliches?

13.Was, wenn ich nicht gleich einschlafe und morgen den Tag mit zwei Stunden Schlaf überstehen muss? Und das, wo doch viel Schlaf so wichtig ist jetzt?

14. Was, wenn ich durch die vielen Medikamente eine Stoffwechselkrankheit bekomme und 150 Kilo wiege, so wie meine Lehrerin damals, die gerade noch Tennismeisterin war und plötzlich ein Wal?

15. Was, wenn sich meine Zehen in kleine Biester mit großen Zähnen verwandeln und anfangen, mich von unten her aufzufressen?

So in etwa denke ich vor mich hin. So in etwa jede zweite Nacht.
Aber das hat nichts mit In Vitro zu tun, nein nein.
Wenn es nicht In Vitro wäre, dann wäre es etwas anderes.
Und das Schöne an In Vitro-Nachtgedanken ist, dass es dafür wenigstens eine große Hasengemeinschaft hier gibt.

3 Kommentare:

  1. hätte es nicht schöner formulieren können!
    ein mitglied der hasenfamilie

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  2. Hallo, wollte Dir mal mitteilen, daß mir Deine Zeilen super gefallen. Bin froh, daß es mir nicht allein so geht und viele Gedanken für IVF-Geschädigte wohl recht normal sind.
    Aber dafür, daß Du seit der Selbständigkeit kaum noch an IVF denkst, denkst Du ganz schön häufig dran :-)

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  3. *Brülll...und schrei, Träne abwisch und mir auf die Schenkel klopf vor Lachen*!
    Und dies gerade mal 1476 Minuten nachdem mir die Eizellen abgesaugt wurden...
    Besten, verbindlichsten Dank, und nun weiter auf die Reise in Deinem Blog!
    Herzlichst, Wilma

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