Sonntag, 2. Juni 2013

Kennt ihr das auch?

Ich wache auf und brauche ein paar Sekunden, um zu wissen, was da nicht stimmt. Kippenkater. Anderthalb Schachteln sind es wohl gewesen. "Aber ich habe die meisten nur bis zur Hälfte geraucht", denke ich. "Und zum Glück, zum Glück hatte ich wenigstens noch genug Verstand, um nur American Spirits in Orange zu rauchen, die Leichtgewichte unter den Fluppen". Irgendwelchen Blödsinn musste ich wohl machen, das war schließlich eine Hochzeit! Eins meiner Mädchen hat geheiratet, es war alles ganz wunderschön, und auch ohne Ströme von Alkohol war dieser Abend emotionaler Ausnahmezustand. Nur so kann ich mir das erklären, dass ich tatsächlich eingeknickt bin und geraucht habe. Und nachdem ich erst eine Zigarette geraucht hatte, war es auch fast schon egal, ob danach noch eine, noch eine und dann noch einige kamen. Gestern Abend dachte ich noch, Sünde ist Sünde, da spielt die Menge jetzt auch keine Rolle mehr. Aber jetzt ist morgen, grauer Morgen danach. Die Schuldgefühle pressen mich für einen Moment tief in die Matratze, wie konnte ich nur? Wie konnte ich nur? Würmchen gibt mir einen Tritt: er ist noch da, mehr Glück als Verstand nennt man das wohl. "Andere Schwangere rauchen fast die ganze Schwangerschaft über" denke ich trotzig. "Noch in den 50ern und 60ern hat da kein Mensch einen Gedanken dran verschwendet." Aber das ganze fadenscheinige Verteidigungsplädoyer nützt nichts, ich fühle mich grauenvoll. Ich bin das Letzte. Jetzt kann höchstens noch Information helfen. Neben mir auf dem Hotelnachttisch liegt mein Handy, ich fange an zu googeln. Zigaretten Ausrutscher Schwangerschaft. Zigaretten letztes Trimester. Zigaretten neunter Monat. Immerhin hatte ich nicht mehr als drei Gläser Wein, das kann doch kaum zählen. Wie immer sagt jeder was anderes. Dass Zigaretten nicht gut sind, darin sind sich alle einig. In den Foren werden die schwachen Damen vielstimmig zur Schnecke gemacht, was treibt sie auch dazu, ausgerechnet auf Urbia um Absolution zu bitten? Einige Quellen sagen auch, böse Sache, aber jetzt eben einfach nicht wieder tun und nicht zu viel drüber nachdenken, das stresst nur, und der innere Stress schadet dem Kind noch weiter, mit Glück geht alles gut. Ich googele und googele, L. neben mir wälzt sich schon ein paar mal hin und her, der Lichtschein meines Displays scheint ihn im Halbschlaf zu blenden. Wieso hat der das eigentlich nicht verhindert? Weil ich durchtrieben genug war, mich zum Rauchen immer irgendwohin zu verziehen, wo er nicht war. Aber er muss es doch gerochen haben? Ich weiß es doch auch nicht. Für mich stinkt mein Atem jetzt noch schrecklich. Ich gehe ins Bad und putze mir so leise wie möglich die Zähne, auch die Zunge wird geschrubbt, auch wenn ich genau weiß, das nützt jetzt nichts, da muss ich durch. Würmchen strampelt noch mal. Ich lege meine Hand auf meinen Bauch und versuche, mich per Gedankenkraft zu entschuldigen: bitte, mein Süßer, kannst du mir das verzeihen? Bitte? Dafür hast du auch einen gut bei mir, versprochen! Und wo ich schon mal wach bin, wühle ich in meinem Waschbeutel nach Schilddrüsentabletten und Schwangerschaftsvitaminen, davon gibt es gleich einen doppelte Dosis heu...

Ich wache auf und liege in meinem Hotelbett. Das Handy liegt neben mir auf dem Nachttisch, L. schläft tief und fest und schnarcht sein diskretes kleines Heuschnupfenschnarchen. Ich habe nicht geraucht. Natürlich habe ich nicht geraucht. Und natürlich habe ich keine drei Gläser Wein getrunken. Ich habe den Abend mit alkoholfreiem Bier, Apfelschorle und Sturzbächen von Wasser verbracht. Aber dieser Traum war raffiniert. So was von mies: alles war so realistisch, das hätte kein Lindenstraßen-Ausstatter besser hingekriegt. Das Hotelzimmer im Traum war unser Hotelzimmer. Mein Schlafanzug war mein Schlafanzug. Sogar die letzte Google-Suche, als ich im Traum mein Handy angemacht habe, um mich schuldfrei zu googeln, war meine echte letzte Google-Suche: ich hatte nach der Hausnummer der Bar geguckt, in der die Hochzeit war. Ich hatte den gleichen Schlafanzug an, und im Hotelzimmer stand sogar der Kinderwagen, den wir gestern abgeholt haben, und genau wie im echten Leben bin ich auf dem Weg ins Bad mit der Hüfte am Getränkehalter hängengeblieben. In der Bar war alles gleich, die kleinen Dekoherzchen, die an Holzstielen zwischen dem Kopfsteinpflaster steckten, das zauberhafte Brautkleid, meine Mädchen um mich herum, die Gespräche, die Musik, alles, alles, alles! Der einzige Unterschied zwischen Traum und Realität war, dass ich im Traum geraucht hatte. Und getrunken. Und um das dann zu begreifen, habe ich fast noch mal zehn Minuten gebraucht heute morgen.

Sowas ist mir ab und zu schon mal passiert, Träume, die so wenig traumhafte Elemente haben, dass es wirklich schwer wird, sie von Realität (oder erinnerter Realität) zu unterscheiden. Aber diese Sorte Traum, diese perfekte Kopie von gestern Abend nur mit einem kleinen Unterschied, die habe ich erst, seit ich schwanger bin. Und immer hat der Traum etwas damit zu tun, dass ich böse war. Sehr böse. Geht das noch mehr schwangeren Damen so?

8 Kommentare:

  1. Man war ich grad sauer und dachte der kommentier ich gar nix mehr ;) nicht weil du schwach geworden bist wie gedacht sondern weil es die Mädels, L und Co nicht verhindert haben aber ja das kenne ich. Hatte auch so Träume und ich bin froh, dass ich in der Realität vernünftiger bin :)

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  2. Mensch, Flora, für den richtigen Spaß hättest Du den Post doch in zwei Teile teilen können und die Auflösung erst morgen gebracht! Dann wäre es in den Kommentaren so richtig abgegangen. Aber jetzt noch mal bezogen auf Deinen vorherigen Post: ich wünsche mir, dass Du als Mutter in Deinem Blog auch mal deine - ja meist sehr erfrischenden und auf den Punkt kommenden - Erklärungen lieferst, warum Mütter untereinander so sind. Das Schlimme ist, dass ich selbst an mir den Zug entdecken musste, anderen (ungefragt oder gefragt) schlaue Tipps zu geben. Und ich kenne auch das Bedürfnis, gegenüber Noch-Schwangeren oder Müttern jüngerer Kinder immer wieder darauf hinweisen zu müssen, dass sie noch gar nicht wissen, was da noch auf sie zukommt. Warum? Vielleicht wirst Du es mir beantworten können. Ich kann mich mittlerweile ganz gut zurück halten, komischerweise wurde das mit dem 2. Kind leichter. Und ganz interessant: von Müttern mit 3 oder mehr Kindern habe ich noch nie solche Ratschläge und Einmischungen erlebt. Ich hoffe, von Dir bald etwas dazu lesen zu dürfen. Ansonsten bleib so direkt und unangepasst, alles Gute von C aus K

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  3. Liebe C aus K, liebe Flora,

    um mal den letzten Kommentar zu kommentieren (sorry, Flora, dass dies nicht direkt Bezug auf deinen Post nimmt!): Ja, das hab ich leider an mir auch schon beobachtet, dass ich ungefragt Ratschläge geben will. Ich versuch mich dann immer zurückzuhalten und habe auch hier sowie in den anderen KiWu/Mütterblogs, die ich lese, noch nie kommentiert. Aber mindestens einmal schon lag mir ein böser Kommentar auf der Zunge bzw. in den Fingerspitzen.
    Meine Theorie: Ich glaube, es liegt daran, dass wir (Neu-)Mütter eigentlich total unsicher sind, ob wir alles richtig machen. Und sobald dann eine andere verkündet, dass sie es so und so macht (oder plant), und dies von unseren eigenen Handlungen/Ansichten abweicht, fühlen wir uns kritisiert. Und in der schönen Anonymität des Internets rutscht dann schnell mal was raus...

    Damit will ich dieses Verhalten auf keinen Fall entschuldigen oder rechtfertigen! Es ist nur ein Erklärungsversuch... Klingt das plausibel?

    Allen einen schönen Tag, und Dir, Flora, alles Gute für die weitere Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach! Genieß es und lass Dir von niemandem dreinreden!

    LG
    Andrea aus M

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    1. Liebe Andrea,

      Ja, das ist auch ein Teil meiner Begründung. Es erklärt aber nicht dieses Bedürfnis nach "Du wirst schon noch sehen, wie hart das ist", denn bei manchen hört es sich fast so an, als würden sie ihr Kind gar nicht mehr wollen nach diesem schrecklichen Schlafmangel, Reiseeinschrankungen etc., dabei gehe ich davon aus, dass sie ihren Goldschatz nie hergeben würden. Warum also diese Unkereien? Bin froh, dass auch andere zugeben, solche ratschlagstendenz entdeckt zu haben! Lg von C aus K

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    2. Meine Begründung für die Ratschläge ist einfach: Ich hätte gern jemand gehabt, der mir die ganzen Tricks und Kniffe beigebracht hätte. Ich wußte nichts über Pucken, Tragen, Unterschiede der Fläschchenmilch (Stillen wußte ich dank Hannah Lothrop Bescheid), Schlafen, Impfen, Essen... Mußte ich mir erst alles mühsam anlesen, herumrecherchieren und fragen. Das hat soviel Zeit und Nerven gekostet, die ich im ersten Jahr eigentlich nicht hatte, daß ich jetzt die Essenz meiner Erfahrungen gerne weitergeben möchte. Eben weil ich so gerne jemand mit Erfahrung gehabt hätte (Schwiegermutter zählt nicht ;) ). Einiges habe ich auch falsch gemacht, weil ich mich eben erst später informieren konnte.
      Von "Aber es wird ja sooooo schwer-Unkerei" sehe ich dagegen (hoffentlich) meist ab, das merkt man noch früh genug - und glaubt man ja doch nicht ganz, bis man es selber durchgemacht hat.

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  4. Liebe C aus K, ich hatte nun schon mehrere Freundinnen, die mir in der Neugeborenenzeit ihrer Kinder ins Telefon geheult haben, warum ich ihnen verdammt nochmal nicht gesagt habe, wie anstrengend das in der ersten Zeit mit Kind WIRKLICH ist (weil ich nämlich sonst sehr dazu neige, grade die ersten Monate zu verklären, weil is ja alles so niedlich und so...). Deshalb mein Vorsatz: Ich verschweige nix mehr. Auch nicht, dass es viel schöner ist, als man so landläufig erwartet... aber auch anstrengender.. zumindest ging es mir bei Kind 1 so, kann aber bei anderen anders sein.

    Gruß, S.

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  5. Na Flora, das hab ich aber eher gemerkt als Du (ca. 2 Minuten). So einen Quatsch würdest Du als verantwortungsbewußte Abkürzungsdame doch nie machen. Daß Du Dir selber sowas zutraust?! Ich dachte erst, das ist die Retourkutsche auf die Flamings. (Vielleicht daher der Traum?)
    Um auf die Frage zu antworten, nein, ich träume immer viel Mist, in der Schwangerschaft war es nicht mehr als sonst auch. Hab allerdings von einigen gehört, daß sie in der Schwangerschaft mehr geträumt haben.

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  6. Mein allerallerschlimmster Albtraum:
    Ich habe geträumt, ich hätte nur geträumt, dass es unser Kind gibt. Horror.

    Tröstende Grüße

    Nauka

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